Das Dhünntal – eine versunkene Geschichte

Viele Adjektive lassen sich für das zwischen den Ballungsräumen Köln und Düsseldorf im Bergischen Land gelegene Tal finden, aber uninteressant trifft auf keinen Fall zu. Das Dhünntal, das ausersehen wurde, Stauraum der zweitgrößten Trinkwassertalsperre Deutschlands sein, kann auf eine lange Vergangenheit zurückblicken. Rittersitze und Herrenhäuser, Gutshöfe, Bauernhäuser und Gaststätten, Pulvermühlen und Hammerwerke hatten hier ihren Platz. Begüterte Fabrikanten, wohlhabende Gutsbesitzer, listige Bauern, kauzige Originale, strebsame Menschen prägten das Gesicht der Landschaft.

Die Talsperre im Sommer
Die Talsperre im Sommer

Die Dhünntalsperre im Herbst
Die Talsperre im Herbst


Wer hätte gedacht, dass das abgelegene Dhünntal ein beliebter Treffpunkt der Oberschicht war. Wer weiß schon, dass Gräfinnen, Prinzen, Bildhauer, Rennfahrer, Großindustrielle, Bergwerksdirektoren und der „Seeteufel“ sich ein Stelldichein im Dhünntal gaben. Zwei promovierte Kunsthistorikerinnen, deren Werke bis heute zur Standardliteratur in ihrem Fach zählen, schätzten die Abgeschiedenheit des Tales. In Hohemühle lebte Frau Dr. Illa Fudickar, die ein offenes Haus führte und deren adeliger Freundeskreis gern die Gesellschaften in der idyllischen Mühle besuchte. Dr. Hilda Lietzmann war auf Gut Eiberg zu Hause. Doch auch das Tal der Kleinen Dhünn hatte gräflichen Besuch. Der „Seeteufel“ Felix Graf von Luckner kehrte des Öfteren in der Kottenmühle ein und genoss das Spinnen des Seemannsgarns mit seinem Freud Deitert. Ebenfalls in Pompelbusch trafen sich immer wieder erlauchte Gäste. Die Jagdgesellschaften waren in weitem Umkreis berühmt und allein der zur Jagdzeit anrollende Wagenpark ließ auf hochrangigen Besuch schließen. Zusätzlich war die Rennfahrerkarriere von Victor Rolff verantwortlich für den Besuch von Rennfahrerlegenden wie Graf Berghe von Trips und Hans Stuck.

Viele Gedichte und Lieder gibt es zu diesem Tal, das in seinem Oberlauf der Großen Dhünn-Talsperre weichen musste. Bekannte Persönlichkeiten haben sich in den Anfängen ihrer journalistischen Laufbahn mit dem Dhünntal beschäftigt. Der bekannte Fernsehmoderator Frank Plasberg wählte 1975 für seinen Bericht über das Tal die Überschrift: „Schön wie der sterbende Schwan“ (BM). Auch der langjährige Auslandschef des Spiegel, Olaf Ihlau, schrieb 1963 in der NRZ (Neue Rhein- und Ruhrzeitung) über das idyllische Dhünntal. Heinrich Deitert, der bereits wegen der Vorsperre Große Dhünn sein Anwesen verlassen musste, brachte es auf den Punkt: „Wo gibt es das in unserem industriereichen Land, dass man so still und in unberührter Natur leben kann wie hier.“

Unberührte Natur versorgt keine hungrigen Mägen. Relativ spät wurde das Dhünntal besiedelt. Die hohen Niederschlagsmengen und wenig ertragreichen Böden ließen kaum Getreideanbau zu und von Wohlstand konnte bis ins letzte Jahrhundert keine Rede sein. Die Lebenserwartung war gering und die hohe Säuglingssterblichkeit reduzierte den Kindersegen. Die Bauernhöfe reichten kaum aus, die Familie zu ernähren. Viele verdingten sich als Tagelöhner oder als Wanderarbeiter. Mit zunehmender Industrialisierung gab es Anfang des 20. Jahrhunderts die


Hinwendung zu den Fabriken. Trotzdem bildeten die Kuh im Stall, das Federvieh und die Erzeugnisse des eigenen Gartens die Lebensgrundlage. Vielfach hielten die Familien ein Schwein oder auch zwei. Dann hatte man eins zum Schlachten und eins zum Verkaufen. Man besaß nur das Nötigste zum Leben und kam selten in die Verlegenheit, überflüssiges Geld in Luxus zu verwandeln.

Der Bau der Dhünn-Talsperre zwang viele Menschen dazu, ihre angestammten Wohnplätze verlassen und sich ein neues Heim zu suchen. Vor allem für die älteren Bewohner war es schwer, die Heimat zu verlassen – „einen alten Baum verpflanzt man nicht“. Aber auch sie haben sich mit der Situation abgefunden und wissen, dass die alten Strukturen des Tales keine Zukunft mehr gehabt hätten. Die jüngeren Menschen sind längst am neuen Wohnort angekommen und genießen die Annehmlichkeiten, die ihnen eine zentrale Lage bietet.

Die Dhünn –
jahrhundertelang eine natürliche Grenze

Seit Jahrhunderten ist die Dhünn ein Grenzfluss. Bereits mit der Einrichtung der Ämter Steinbach und Bornefeld im 14. Jahrhundert bekam sie eine Grenzfunktion. Später bildete sie die Grenze zwischen dem Regierungsbezirk Köln im Süden und dem Regierungsbezirk Düsseldorf im Norden. Gleichzeitig trennte sie den Kreis Lennep von den Kreisen Wipperfürth und Mülheim. Auch nach Einrichtung des Rheinisch Bergischen Kreises (1932) und des Rhein-Wupper-Kreises blieb diese Funktion erhalten. Erst mit der kommunalen Neugliederung 1975 gehört das gesamte Dhünntal zum Rheinisch Bergischen Kreis und zum Regierungsbezirk Köln. Bis heute bildet die Dhünn die Grenze zwischen der Stadt Wermelskirchen und der Gemeinde Kürten. Jahrhunderte lang war die Dhünn auch eine Konfessionsgrenze. Jenseits der Dhünn begann für die Bewohner der Südseite eine fremde Welt. Die Leute dachten anders, die waren anders, die waren evangelisch! Das war der Punkt. Jahrhunderte hatte man nur in Ausnahmefällen Verbindung mit den Anhängern der „falschen Konfession“ aufgenommen und verwandtschaftliche Verflechtungen waren äußerst selten.

Bis auf wenige Ausnahmen war die Bevölkerung nördlich der Dhünn protestantisch, während die Südseite dem Katholizismus angehörte. Eine Statistik weist 1828 für die Bürgermeisterei Dabringhausen 6943 Einwohner aus, davon sind 6615 evangelisch und 328 katholisch. Die Bürgermeisterei Kürten hat zum gleichen Zeitpunkt 3600 Einwohner, wovon 10 Personen evangelischer Konfession sind. „Noch 1946, als die ersten Heimatvertriebenen in Bechen Unterkunft fanden, gab es dort zu ihrem Erstaunen nicht mehr als 2 oder 3 evangelische Familien, die ganz oder teilweise evangelisch waren…“ (Denst: Die Delling). Durch die Flüchtlingsströme aus dem Osten veränderten sich die traditionellen Gegebenheiten, man war nicht „selbstverständlich katholisch“. Die Volksschule in Bechen diente nach dem Krieg nicht nur als Auffanglager für Flüchtlinge, auch der erste evangelische Gottesdienst wurde 1946 dort gefeiert.

Blick auf den Staudamm der Vorsperre Große Dhünn
Blick vom Staudamm der Vorsperre Kleine Dhünn
auf die Talsperre

Das Dhünntal – eine Naturschönheit

Die alten Hofschaften und mit ihnen die Bewohner sind verschwunden. Keine Kuh blökt mehr, kein Autolärm erfüllt das Tal, Nachbarschaft und geselliges Treiben sind Geschichte. Die Schönheit des Dhünntales mit seinen idyllischen Ecken und Winkeln bleibt unvergessen. Ruhe und Gelassenheit strahlt der große See vor der Haustür aus. An vielen Aussichtspunkten kann man die Seele baumeln lassen und die „unberührte“ Natur genießen. Heute durchzieht leises Entengeschnatter die Stille, stolze Schwäne ziehen majestätisch ihre Bahn, Bussarde und Milane kreisen am Himmel und die Wasserfläche der Talsperre glänzt im Sonnenlicht. Schönheit ist wandelbar und liegt im Auge des Betrachters. Ob Nord- oder Südseite der Dhünn, alle Bewohner sind tief im Bergischen Land verwurzelt und fühlen sich durch ihre Liebe zur Heimat verbunden, die im Bergischen Heimatlied ihren Ausdruck findet.